Die Ausstellung The Digital Effect widmet sich der Frage, wie sich Künstler*innen mit den Effekten des Digitalen auf unsere mediatisierte Gegenwart und soziale Wirklichkeit auseinandersetzen und diese in ihren Arbeitsweisen, Strategien und Ästhetiken reflektieren. Bei den gezeigten Arbeiten der vier Künstler*innen Hugh Scott-Douglas, Heinrich Dunst, Sophie Gogl und Philipp Timischl wird überdies das Verhältnis zum Tableau vor dem Hintergrund digitaler Bedingungen verarbeitet oder dabei in andere Medien übersetzt.
Die Malerei als Raum, der Filmstreifen als Bild und zwischendurch zurück zu Marx: Die von der Konzeptkunst eines Marcel Broodthaers inspirierte Kritik am Kunstsystem schwingt sich bei Heinrich Dunst über die Analyse von Wort und Bild zum Medium Film auf, dessen Materialität und Schnittverfahren er durch die Mittel digitaler Reproduzierbarkeit appropriiert. Dunst zeigt in seiner neuen installativen Arbeit für die Ausstellung im NKW in einer Abfolge von Prints die Prozessualität seiner Praxis auf, die gegenwärtig nicht mehr ohne die schnellen Übertragungs- und Verbreitungsvorgänge des Digitalen gedacht werden kann. Die gezeigte Arbeit Projektion ist Dokumentation und gleichzeitig Paraphrase der 2019 vorangegangenen Ausstellung, A. B. a. P. – Antonio Banderas als Picasso, in der Galerie nächst St. Stephan. Die Fotografien der Ausstellungssituation bilden einerseits die Grundlage für die wiederum digital montierten Ansichten der analogen Doublette der Ausstellung auf analogen Trägern aus Papier. Andererseits werden die Ausstellungsansichten auch Teil des Internets als einem Archiv von Abbildungen, die es ermöglichen, jene sich ebenso verdoppelnden (musealen) Ausstellungsräume international zu betrachten und zu betreten und dabei eine eigene Aura der Kunst generieren. Als fragmentierte Ausschnitte dokumentarischer Fotografien, die bearbeitet, rekonstruiert und ausgedruckt wurden, versteht der Künstler seine Arbeit als kritischen Reflex auf die, durch das allgegenwärtige Digitale erzeugte, zeitgenössische Situation der Kunst. Sie ist gleichzeitig eine Voraussetzung dafür, dass die Dokumentation des künstlerischen Prozesses selbst das Kunstwerk sein kann (Boris Groys, In the Flow, 2016).
Philipp Timischls Bilder verbinden freie Assoziationen aus gefundenen Textfragmenten, Film, Musik, Werbung und seinem Alltag, die er zu eigenen Poesien verwandelt und diese mit Digital-oder Analogfotografien, seinen Momentaufnahmen und Malereien zu tagebuchartigen Collagen auf Leinwand verdichtet. Indem er Perspektiven zwischen Nähe und Ferne verändert und Aufnahmen desselben Bildes zu unterschiedlicher Zeit vornimmt, verweist er nicht nur auf die zeitliche und örtliche Differenz als Grundlage von Narration, er lädt den Betrachter auch ein, sich eine eigene persönliche Geschichte zu erzählen. In seinen Arbeiten vereint er Versatzstücke gesellschaftlicher Realität und Repräsentation zu einem kritischen Diskurs über das Verhältnis von Wahrheit und Fiktion, Original und Fälschung, analoger und digitaler Welt und Realität und Sprache. So führt er in der Arbeit Truth and Truth, 2020 durch Doppelung eines Slogans, dessen Buchstaben er in einer Kombination aus unterschiedlichsten „echten Materialien und deren „falscher“ Imitation der Leinwand einverleibt, den Begriff selbst ad absurdum. Die im NKW gezeigten Arbeiten lassen sich auch im Kontext einer größeren geplanten multimedialen Skulptur lesen, die die Medien Malerei und Video verbindet und deren installative Gegenüberstellung Timischl bereits seit einigen Jahren beschäftigt. In seinen neuen Gemälden spielt er auch mit ironischen Untertönen. Den scheinbar naiven Slogans in Kombination mit der Verwendung von Tapetenhintergrund, weißen Perlen und billigen Kristallen stehen Bilder mit spezifisch politischem Inhalt und mehrdeutigen Bezügen gegenüber. Der Dualität zwischen ernsten gesellschaftspolitischen Themen und der Kunst als intellektuellem Luxusgut setzt Timischl eine Übertreibung offensichtlicher Klischees und viel Humor entgegen. Timischls Werk belegt eindrücklich wie aktuell das Medium Malerei sein kann, indem er sich mit Klassenunterschieden, nationalen Grenzen und Privilegien, aber auch der damit verbundenen, zeitgenössischen Sprache und Zeichen auseinandersetzt.
Hugh Scott-Douglas arbeitet mit vielschichtigen Bildgebungsverfahren, die alte und neue Technologien miteinander kombinieren, wie natürliche Belichtung und durch Algorithmen generierte Formen, die er dann auf Leinwand überträgt oder in sequenziell angeordnete Bildserien übersetzt. Die für die Ausstellung neu produzierten Cyanotype-Prints basieren auf Zeichnungen von Günther Domenig & Eilfried Huth für das Projekt Floraskin, eine 1971 von Künstlern, Architekten, Soziologen, Psychologen und Kybernetikern als Alternative zum Massentourismus entworfenen Hotelanlage in Marokko. Als Skript eines unrealisierten Projektes von einer Musterschneidemaschine adaptiert, zeigen sie neue Strukturen, die ein unlimitiert erweiterbares System aus technologischen Megastrukturen und dem Prinzip natürlichen Wachstums bilden. Eine filmische Arbeit mit dem Titel „over the paving stones, under the paving stones, the beach“ ist eine Projektion mit 60 Dias, die auf Found Footage von einem 2006 aufgelassenen Kino basieren. Die Titelphrase aus dem berühmten Graffiti der 68er Studentenproteste in Frankreich hat der Künstler umgekehrt und in das geschnittene Archivmaterial des gefundenen 35-mm-Trailers als fragmentierten Text hinein collagiert. So ist eine Projektion entstanden, die von Sprache durchwandert wird.
Sophie Gogls künstlerische Praxis zeigt Interesse an den Mechanismen, die dazu führen, dass Bildmotive aus der allumfassenden Datenflut auftauchen und sich verbreiten. Aus einem erweiterten Malereibegriff heraus, versteht sie jedoch das Bild als Körper. Intuitiv nimmt sie darin Bezüge auf, die ihre subjektive, emotionale Verfasstheit gegenüber der durch digitale Medien bestimmten Gegenwart beschreiben und bringt ihre eigene Lesart der Wirklichkeit visuell zu Sprache, die von einer „ambivalente Konstitution“ bestimmt ist. Unruhe, Rage, Euphorie und Verlustangst, oder die Angst, sich selbst zu verlieren sind Emotionen, die der Künstlerin kreative Impulse geben, und deren Wert sie betont, um lebendig zu bleiben. Sie arbeitet mit fotografischen Vorlagen, Scans und Montagen und lässt sich vom Internet inspirieren: Was in seinen Anfängen als „künstlerischer Raum für Nerds“ Zuflucht bot, ist nun eine „lukrative Maschine“ geworden und ein Raum, der im Gegenzug künstlerisch ausgebeutet werden darf. Gogl zieht daraus Motive und Themen und setzt der fluiden Ortlosigkeit des digitalen Raums und seiner Marketinglogik eine gesteigerte Objekt- und Körperhaftigkeit sowie ihre persönliche Interpretation entgegen. Die drei gezeigten Arbeiten sind Erweiterungen ihrer letzten Ausstellung in der Galerie der Stadt Schwaz. Mit der Illusion verbrannten Papiers auf Leinwand spielt die Künstlerin mit dem inhaltlichen Anspruch an die Malerei, ebenso wie die auf Holz übertragenen Linien eines Collegeblocks als Medium des Schreibens, der schnellen Notiz oder persönlichen Erinnerungsstütze auf kreative Techniken verweisen. Der Farbton von Recycling-Papier ist ein ironischer Fingerzeig auf die Unmöglichkeit, im ökologischen Sinne „ethische“ Bilder herzustellen und die moralische Selbsterhöhung durch die Verwendung von umweltfreundlichem Material. Die Künstlerin verhandelt das Tableau als inhaltlichen Träger, nimmt aber gleichzeitig Bezug auf das mobile Tafelbild, die das Medium Malerei transportabel und vermarktbar macht.
The exhibition The Digital Effect is dedicated to the question of how artists* deal with the effects of the digital on our mediatized present and social reality and how they reflect these effects in their working methods, strategies and aesthetics. In the works on show by the four artists Heinrich Dunst, Sophie Gogl, Hugh Scott-Douglas, and Philipp Timischl, the relationship to the tableau is processed against the background of digital conditions and thereby translated into other media.
Painting as space, the film strip as image and in between back to Marx: Heinrich Dunst’s criticism of the art system, inspired by the conceptual art of a Marcel Broodthaers, is revived through an analysis of word and image to the medium of film, whose materiality and editing procedures he appropriates through the means of digital reproducibility. In his new installative work for the exhibition at the Neuer Kunstverein in Vienna, Dunst displays in a sequence of prints the processuality of his practice, which at present can no longer be thought of without the rapid transmission and dissemination processes of the digital. The work shown, Projektion, is both a documentation and paraphrasing of a previous exhibition in 2019, A. B. a. P. – Antonio Banderas as Picasso, at Galerie nächst St. Stephan. On the one hand, the photographs of the exhibition installation form the basis for the digitally mounted views of the exhibition’s analogue double on analogue paper supports. On the other hand, the exhibition views are also part of the Internet as an archive of images that make it possible to view and enter these equally doubling (museum) exhibition spaces internationally, thereby generating an aura of art on their own. As fragmented sections of documentary photographs that have been edited, reconstructed and printed out, the artist understands his work as a critical reflection on the contemporary situation of art generated by the digital omnipresent. At the same time, it is a prerequisite for the fact that the documentation of the artistic process itself can be the work of art (Boris Groys, In the Flow, 2016).
Philipp Timischl’s pictures combine free associations from found text fragments, film, music, advertising and his everyday life, which he transforms into his own poetry and condenses with digital or analogue photographs, his snapshots and paintings to create diary-like collages on canvas. By altering perspectives between near and far and taking pictures of the same subject at different times, he not only refers to the temporal and spatial difference as the basis of narration, he also invites the viewer to tell his*her own personal story to him*herself. In his works, the artist combines set pieces of social reality and representation into a critical discourse on the relationship between truth and fiction, original and fake, analog and digital world and reality and language. In the work Truth and Truth, 2020, for example, he takes the term itself ad absurdum by doubling a slogan, whose letters he incorporates into the canvas in a combination of the most diverse “real” materials and their “false” imitation. The works shown in the NKW can also be read in the context of a larger planned multimedia sculpture that combines the media of painting and video and whose installative juxtaposition Timischl has been working on for several years. In his new paintings he also plays with ironic undertones. The seemingly naive slogans in combination with the use of wallpaper background, white pearls and cheap crystals are juxtaposed with pictures of specifically political content and ambiguous references. Timischl counters the duality between serious socio-political themes and art as an intellectual luxury good with an exaggeration of obvious clichés and a great deal of humour. Timischl’s work impressively demonstrates how topical the medium of painting can be by addressing class differences, national boundaries and privileges, but also the contemporary language and signs associated with them.
Hugh Scott-Douglas works with multi-layered imaging processes that combine old and new technologies, such as natural exposure and forms generated by algorithms, which he then transfers to canvas or translates into sequentially arranged image series. The newly produced cyanotype prints are based on drawings by Günther Domenig & Eilfried Huth for the Floraskin project, a hotel complex in Morocco designed in 1971 by artists, architects, sociologists, psychologists, and cyberneticists as an alternative to mass tourism. Adapted as a script of an unrealized project from a pattern-cutting machine, they show new structures that form an unlimitedly expandable system of technological megastructures and the principle of natural growth. A second filmic work entitled over the paving stones, under the paving stones, the beach is a projection with 60 slides based on found footage from a cinema that was closed down in 2006. The artist has reversed the title phrase from the famous graffiti of the ’68 students’ protests in France and collaged it into the edited archive material of the found 35 mm trailer as fragmented text. The result is a projection that is permeated by language.
Sophie Gogl’s artistic practice shows interest in the mechanisms that lead to pictorial motifs emerging and spreading out of the all-encompassing flood of data. From an expanded concept of painting, she understands the picture as a body. Intuitively, she takes up references that describe her subjective, emotional state of mind in the face of the present determined by digital media and visually expresses her own reading of reality, which is determined by an “ambivalent constitution”. Restlessness, rage, euphoria or fear of loss, or the fear of losing oneself, are emotions that give the artist creative impulses and whose value she emphasizes in order to remain alive. She works with photographic templates, scans, and montages and is inspired by the Internet: What in its beginnings offered refuge as an “artistic space for nerds” has now become a “lucrative machine” and a space that can be exploited artistically in return. Gogl draws motifs and themes from this and counters the fluid placelessness of digital space and its marketing logic with an increased objecthood and corporeality as well as her personal interpretation. The three works shown are extensions of her last exhibition in the Galerie der Stadt Schwaz. With the illusion of burnt paper on canvas, the artist plays with the content-related demands on painting, just as the lines of a college block transferred to wood as a medium of writing, quick note or personal reminder refer to creative techniques. Lyrical lines of text as the subject of her works leave it open whether they originate from one or different sources. The light-looking motifs contrast with a certain heaviness of the material of wooden panels and stretcher bars. The colour of recycled paper is an ironic reference to the impossibility of producing “ethical” images in an ecological sense and the moral self-elevation through the use of environmentally friendly material. The artist negotiates the tableau as a carrier of content, but at the same time refers to the mobile panel painting, which makes the medium of painting transportable and marketable.
Heinrich Dunst, Projektion, detail, 2020
Montage: Alex Nussbaumer, Foto: Georg Petermichl
Courtesy of Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder
Philipp Timischl, In your aesthetic path, 2020
Acrylic paint on UV-direct print with spilled pearls and crystals on various fabrics, artist frame, 80x100cm
Courtesy of Galerie Emanuel Layr